450 Jahre. Evangelisch in Hösel

Adolf Clarenbach (hist. Portrait)

Die Reformation in Hösel hatte es wie vielerorts im Bergischen Land zunächst schwer. Der Name der heutigen Höseler Kirche erinnert daran: Adolf Clarenbach, der „Reformator des Bergischen Landes“, war 1529 in Köln wegen seines Glaubens hingerichtet worden. Dennoch verbreitete sich der evangelische Glaube, insbesondere in seiner reformierten, calvinischen Prägung, immer stärker in den nächsten Jahrzehnten. Nicht zuletzt der Austausch mit niederländischen Reformierten prägte auch das Niederbergische Land.

So konnten sich auch die Reformierten aus Hösel schließlich als Gemeinde zusammenfinden, gemeinschaftlich Gottesdienst feiern. Als ab 1582 der niederländische Adlige Christoffel von Isselstein Residenz im Schloss Linnep nahm, ermöglichte dieser es den Reformierten, möglicherweise zunächst erst heimlich, in einem Saal des Schlosses Gottesdienst zu feiern.1 Rasch bildete sich um die Familie von Isselstein eine kleine reformierte Gemeinde. Mit Daniel Goldbach erhielten die Menschen 1609 ihren ersten Prediger. Die noch sehr kleine Zahl der Gläubigen in den Bereichen Breitscheid und Hösel wuchs in den kommenden Jahren an.2 1625 trat Hösel offen zum reformierten Bekenntnis über.3

Begünstigt durch die obrigkeitliche Toleranzpolitik konnte 1684 gegenüber dem Linneper Schloss eine erste Kirche errichtet werden, es folgten auch weitere Gemeindebauten wie das Linneper Pastorat, ein Gemeindesaal, eine Schule, ein Friedhof. In dieser Zeit machten sich die reformierten Höseler auf nach Linnep (d.h. Breitscheid), wenn sie etwa den Gottesdienst besuchten. Über 250 Jahre waren die Linneper und Höseler Reformierten in einer Kirchengemeinde einander verbunden. In jener Zeit spielten sich viele Dinge des damaligen Gemeindelebens rund um die Linneper Waldkirche und die damalige evangelische Schule in Linnep ab.

Jedoch erschien der Weg insbesondere für die Kinder der Höseler Reformierten zu weit und zu beschwerlich. Außerdem hatte sich mit dem Anwachsen der Reformierten im Gemeindebezirk Hösel die Notwendigkeit ergeben, auch in Hösel gemeindliche Strukturen zu errichten. So kam es bereits 1695 zum Erwerb von etwa 7.500 Quadratmeter feuchtem Brachland inmitten der damaligen Siedlung Hösel.4

 

Evangelische Schule Hösel (Zeichnung)

Bereits ein Jahr später konnte hier die neue reformierte Schule in Hösel eingeweiht werden. Sie wurde zur „Keimzelle“5 der Evangelischen Kirchengemeinde Hösel. So stehen auf damals erworbenen Grund und Boden, dem sog. Brackbanden, heute Gemeindehaus, Kindergarten, Kirche und Pastorat.

Auch nach dem Beitritt zur Konfessionsunion am 25. Juni 1830 blieb die Gemeinde ihrem reformierten Erbe und der entsprechenden Tradition und Prägung treu. Überhaupt hatte man sich den Beitritt zur von der Obrigkeit angeordneten Kirchenunion nicht leicht gemacht. Ihm waren 13 (!) Jahre Verhandlungen vorausgegangen, in denen es den Linneper und Höseler Reformierten insbesondere um die Bewahrung ihrer presbyterialen Gemeindeordnung und der Abwehr eines kirchlichen Zentralismus ging.6

Als dann in den kommenden Jahrzehnten die Gemeindegliederzahlen in Hösel weiter zunahmen, entscheid man sich kurz nach der Jahrhundertwende für die Planung eines Kirchbaus in Hösel. Ein Kirchbauverein wurde gegründet. Jedoch verhinderten der Erste Weltkrieg und die anschließende Inflation bzw. die allgemeine Wirtschaftskrise zunächst eine Realisierung des Baus. 1929/30 konnte dann die Adolf-Clarenbach-Kirche gebaut und eingeweiht werden. In der eingemauerten Urkunde heißt es dazu:

„Die evangelische Gemeinde Linnep will durch Errichtung dieser Kirche bezeugen, daß sie die Segenskräfte des Evangeliums unserem Volke erhalten wissen und das Erbe bewahren will, das treue Zeugen und mutige Bekenner ihr hinterlassen haben. Sie dankt für den Segen, der im Laufe von 245 Jahren ihren Gliedern in der stillen, aber doch viel umkämpften Waldkirche zugeflossen ist, glaubt aber doch ihren weit von dieser Kirche entfernt wohnenden Gemeindemitgliedern entgegenkommen und den Besuch des Gottesdienstes durch den Bau einer Kirche in Hösel erleichtern zu sollen und dankt Gott, daß ihr das durch freundliche Fügungen möglich geworden ist.“7

Kirchweihe in Hösel (Schlüsselübergabe)



Als, insbesondere aufgrund von Flüchtlingszuzug nach dem Zweiten Weltkrieg, die Gemeinde in Hösel noch weiter und stärker anwuchs, entschied sich die Kirchengemeinde Linnep, ihren ‚Außenbezirk Hösel‘ als selbstständige Gemeinde auszugliedern. 1957 wurde die Evangelische Kirchengemeinde Hösel selbstständig, die Gläubigen in Hösel hatten fortan ‚ihre‘ eigene Kirchengemeinde.

Neben dem Gemeindeleben, neben der gottesdienstlichen und seelsorglichen Versorgung der Kirchengemeinde stellte die Arbeit im damals neu errichteten Kindergarten und im 1968 eingeweihten Gemeindehaus einen Schwerpunkt der gemeindlichen Arbeit dar.

Lassen sich wichtige Wegmarken in der insgesamt mehrhundertjährigen Gemeindegeschichte bisweilen an Kirchweihen, Gemeindehausbauten u.ä. festmachen, so gilt für die jüngeren Jahrzehnte und für die Gegenwart, dass das Bemühen um den Erhalt der gemeindlichen Strukturen und ihre angemessene Modernisierung nicht weniger Kraft und Mühe in Anspruch nimmt. Das betrifft auf der einen Seite die gemeindliche Infrastruktur (Immobilien, Personalausstattung), auf der anderen Seite aber auch Modernisierungen und Anpassungen in den Angeboten und Arbeitsweisen der Kirchengemeinde.

Trotz aller gegenwärtigen Abbrucherscheinungen von kirchlicher Bindung in der Gesellschaft bleibt der Erwartungshorizont gegenüber der Kirchengemeinde vergleichsweise hoch. Der starke Wunsch, wohnortnahe kirchliche Strukturen vorfinden zu können ist ausgesprochen stabil. Die „Kirche im Dorf“ wird sogar als grundlegende Bedingung empfunden, eine positive Haltung zur Gemeinde, zur Kirche, mitunter sogar zum Glauben aufzubauen bzw. zu erhalten.
Auch in der Evangelischen Kirchengemeinde Hösel zeigt sich, was inzwischen ja auch wissenschaftlich vielfach herausgearbeitet worden ist:

„Die evangelische Kirche wird vorrangig über die Ortsgemeinden und ihre Pfarrerinnen und Pfarrer wahrgenommen und beansprucht. Die Kasualien sind dabei das Erste, was den Mitgliedern zur Ortsgemeinde einfällt: Dort wurden sie konfirmiert, getauft oder wurden ihre Eltern bestattet. […] Mit den Gottesdiensten unmittelbar gekoppelt ist das Kirchengebäude, in dem sie sich vollziehen. Das Kirchengebäude wird als Ort biographischer und religiöser Erinnerung wahrgenommen und geschätzt. Die Ortsgemeinde, der Pfarrer/die Pfarrerin und das Kirchengebäude — diese Trias steht den Mitgliedern klar vor Augen, wenn sie nach Kirche gefragt werden.“8

Gemeindehaus (ca 2000er)

Dem begegnet die Evangelische Kirchengemeinde Hösel gegenwärtig mit einer Hinwendung zu den örtlichen und quartiersmäßigen Strukturen. So hat die Kirchengemeinde sich in den zurückliegenden Jahren von Immobilien getrennt, die sie nicht für den gemeindlichen Auftrag nutzte und die auch nicht ertragsbringend bewirtschaftet werden konnten. Gleichzeitig bemüht sie sich um den Erhalt derjenigen Ressourcen und Gebäude, die sie für ihre Arbeit als Kirchengemeinde vor und im Ort jetzt und künftig benötigt. Es werden gegenwärtig Kooperationen mit anderen Einrichtungen und Institutionen am Ort und im Quartier gepflegt, ausgebaut, neu geschaffen. Es werden aber auch neue Arbeits- und Angebotsformen versucht und erprobt, etwa verstärkt projektgebundene Angebote, wo früher eher vereinskirchliche Angebote ihren Ort hatten.

So scheint die Herausforderung der Gegenwart darin zu liegen, die Bandbreite des gemeindlichen Lebens — angepasst an die heutigen Vorstellungen und Bedürfnisse — aufrecht zu erhalten.

 

Nachweise:

 

1 Vgl. Theo Volmert: Hösel. Berichte, Dokumente, Bilder aus seiner tausendjährigen Geschichte. Ratingen 1980, 83. Außerdem auch Alexandra König: Der Kirchenbau der reformierten Gemeinde. In: Kirchenschätze. Lutherisch — Reformiert — Evangelisch. Hg. v. Alexandra König, Essen/Ratingen 2017, 25ff.

Die wohl ausführlichste und gründlichste Darstellung der Gemeindegeschichte vom 16. Jahrhundert bis 1830 bietet Otto Wilms: Linnep. Die Geschichte einer reformierten Gemeinde. Breitscheid 1994. Mit besonderem Blick auf die Höseler Reformierten findet sich eine detaillierte Beschreibung bei Theo Volmert: Hösel. Berichte, Dokumente, Bilder aus seiner tausendjährigen Geschichte. Ratingen 1980, 83-92; 175-177; 247-250.

3 Regina Unterberger: Art. Rittersitz, Prediger-Hochburg und nobler Wohnort. In: Rheinische Post Nr. 161/2000, Ausgabe vom 14.7.2000, Seitenzahl unbekannt.

Zur Erwerbsgeschichte siehe Rudolf Vogel: Der Brackbanden 1695-1968. In: Evangelische Kirchengemeinde Hösel (Hg.): Festschrift zur Einweihung des Gemeindezentrums der ev. Kirchengemeinde Hösel. Hösel 1968, 5-11. Ferner: Hans-Dieter Köhler und Claudia Sproedt: 300 Jahre Schule in Hösel 1696-1996. Wilhelm-Busch-Schule 20 Jahre. Hg. v.d. Wilhelm-Busch-Schule, Ratingen-Hösel 1996, 4-12.

Erhard Krieger: 1930-1980. Fünfzig Jahre Adolf-Clarenbach-Kirche. Zur Geschichte der Evangelischen Kirchengemeinde Hösel. In: Presbyterium der Evangelischen Kirchengemeinde Hösel (Hg.): 50 Jahre Adolf-Clarenbach-Kirche. 26. Oktober 1980, 5-13, Zitat auf Seite 10.

Vgl. hierzu Otto Wilms (s. Anm. 2), 134f.

7 Verein zur Erhaltung der Adolf-Clarenbach-Kirche Hösel e.V. (Hg.): Festschrift der Evangelischen Kirchengemeinde Hösel zum 90jährigen Bestehen der Adolf-Clarenbach-Kirche am 26. Oktober 2020. Hösel 2020, 22.

Heinrich Bedford-Strohm und Volker Jung (Hg.): Vernetzte. Vielfalt. Kirche angesichts von Individualisierung und Säkularisierung. Die fünfte EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft. Gütersloh 2015, 121f.